Juden und jüdische Bethäuser in Linz

Nach Quellenmaterial bearbeitet von Dr. Peter Kraft

Linz hat eine weit zurückreichende jüdische Tradition, nicht nur was die Ansiedlung, sondern auch was die Kultausübung betrifft. Die Bearbeitung der historischen Quellen durch Franz Wilflingseder oder vor ihm durch den letzten Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, Prof. Dr. Viktor Kurrein, haben ergeben, daß Juden seit der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts zumindestens in der heutigen Altstadt von Linz gewohnt haben. Bis zum Verfolgungsjahr 1420 bestand dort ein Judenviertel, das nicht als Getto isoliert war.

Eine Mesnerin von Enns soll damals an Juden Hostien abgegeben haben.

Die übliche Anklage des angeblichen Hostienfrevels gab der Obrigkeit den erwünschten Anlaß, am 24. Mai 1420 sämtliche Juden in Oberösterreich einzukerkern, ihr Vermögen einzuziehen und sie vor die Wahl: „Taufe oder Feuertod“ zu stellen. Nur einige Wenige haben sich durch die Taufe das Leben erkauft.

Für den Nachweis der jüdischen Siedlung setzte diese Dezimierung und Vertreibung eine Zäsur von mehreren Jahrhunderten. 

An Stelle der spätmittelalterlichen Synagoge der todgeweihten Gemeinde, die ja im Schutzbereich der kaiserlichen Burg lag, wurde die Dreifaltigkeitskapelle errichtet, ein Faktum, das sich nicht allein aus ökonomischen Ursachen erklären läßt, sondern für eine Suggestivkraft des Ortes spricht.

Am Hofe Kaiser Friedrich des 111. hielt sich damals der Humanist Johannes Reuchlin auf, eine spätere Schlüsselfigur.

Als Leibarzt des Kaisers, der sich selbst mit Geheimwissenschaften und esoterischen, religiösen Überlieferungen beschäftigte, wirkte der Arzt und Rabbiner Jakob ben Jechiel Loans. Dieser angesehene jüdische Gelehrte hat Reuchlin in die sprachlichen Feinheiten und verschwiegenen Quellen mittelalterlicher jüdischer Literatur, vor allem der mystisch-naturphilosophischen Kabbala, eingeführt. Welch hohe seelische Läuterungskraft vielen dieser nur in der reinen Luft der Meditation weitergereichten Schriften innewohnt, wird durch die moderne Forschung erst langsam an den Tag gebracht. Aus Reuchlin, dem aufrechten Forscher, wurde jedenfalls der mutige Vorkämpfer des gefährdeten jüdischen Schrifttums und Geistes. Darüber hat der bekannte Schriftsteller Max Brod vor kurzem eine historische Monographie veröffentlicht. Er hat die wichtigsten Passagen aus Reuchlins „Oe Arte Cabalistica“ aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt. Der weise Jude Simon, der seine Gesprächspartner in eine Welt philosophischer und religiöser Geheimnisse einführt, ist nach Brods Deutung das von Reuchlin geschaffene literarische Porträt des historischen Jakob ben Jechiel Loans.

In der durch die Jahrhunderte unruhigen, weil oft beunruhigten jüdischen Geistesgeschichte, ist damals Linz zu jenem Ort geworden, in dem eine Sternstunde für das jüdische Schrifttum schlug. Es bleibt nur unverständlich, daß dieses Geheiligte und voll Ehrfurcht zu Behandelnde im Lauf der Zeit immer wieder geschändet, zerstört, gefährlich mißverstanden oder verächtlich geringgeschätzt worden ist.

Die schwierige sozialrechtliche Situation der Juden spiegelt der Umstand, dass sich in den folgenden Jahrhunderten Juden nur während der Wochen der ihrer wirtschaftlichen Wichtigkeit wegen weithin berühmten „Linzer Märkte“ in der Stadt nachweisen lassen. Trotzdem hat ein Befehl der Kaiserin Maria Theresia im Jahre 1745 die „Abschaffung der Juden aus ganz Oberösterreich“ verfügt. Dr. Viktor Kurrein hat erhoben, dass im 17. Jahrhundert in der Linzer Rathausgasse ein jüdisches Bethaus bestanden hat. Ab 1824 ist in der „Unteren Badgasse“ eine Betstube nachweisbar. Wann diese in die Marienstraße verlegt worden ist, konnte nicht festgestellt werden. Am 16. Mai 1877 wurde der im klassizistischen Stil erbaute Tempel auf dem Grundstück in der Bethlehemstraße 26 eingeweiht, das Bethaus in der Marienstrasse aber aufgelassen.

Er war, wie es die noch vorhandenen Aufnahmen zeigen, bereits ein mächtiger und repräsentativ in seine unmittelbare Umgebung gestellter Sakralbau.

Die wirtschaftliche Anziehungskraft des oberösterreichischen Raumes veranlasste eine Anzahl kapitalkräftiger jüdischer Industrieller, meist aus Fürth bei Nürnberg, sich in Linz ansässig zu machen. Eine ganze Reihe heute noch führender Unternehmungen verdankt ihnen die Entstehung. Dazu kamen einfache, wenig begüterte, aber arbeitsame und fleißige Familien meist aus den böhmisch-mährischen Kronländern.

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Diese anfänglich kleine Kolonie vergrößerte sich im Laufe der Jahrzehnte. 1938 hatte die Gemeinde einen Mitgliederstand von rund 800 Personen. Aus Anlaß des 50jährigen Bestandfestes des Tempels wurde 1927 eine Festschrift veröffentlicht. Der lokalhistorische Teil dieses Werkes hatte den damals seit 30 Jahren amtierenden Präsidenten, Kommerzialrat Benedikt Schwager, zum Autor. Neben interessanten Einzelheiten über die Herkunft, Beschäftigung und den Stand der Gründerfamilien, die Daten und Namen der Gemeinderabbiner, Vorsteher und Vorstandsmitglieder und die Verdienste, welche sie sich durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit erworben haben, berichtet er über besondere Vorkommnisse des Gemeindelebens und die unter seiner Führung entfaltete Hilfstätigkeit für viele Tausende jüdischer Flüchtlinge aus den von russischen Armeen bedrohten Kronländern Galizien und Bukowina während der Weltkriegsjahre 1914 bis 1918, die in Oberösterreich Zuflucht gesucht haben. 

Für eine erhebliche Zahl solcher Familien sind Linz und Oberösterreich, allerdings nur für knappe 20 Jahre, eine neue Heimat, sie selbst wertvolle Mitglieder der Linzer jüdischen Gemeinde geworden. Den übrigen, größeren Teil dieser Festschrift bildet die fünfhundert Jahre zusammenfassende geschichtliche Abhandlung des damals amtierenden, in Linz geborenen Rabbiners Prof. Dr. Viktor Kurrein, der 1938 nach England emigriert ist. Neben einer Publikation von Staatsbibliothekar Dr. Franz Wilflingseder stellt diese Arbeit bis zum heutigen Tag die einzige für die Erforschung dieses Spezialthemas greifbare Quelle dar. In der Linzer Studienbibliothek findet sich noch ein Schriftchen von Dr. Kurrein. Es ist ein Aufsatz über Bücherverbrennungen in Europa seit der Antike. Er schließt diese Arbeit mit den zum damaligen Zeitpunkt wahrhaft seherischen Worten, daß die Asche der verbrannten Bücher den Geist und das Werk nicht aus der Welt geschafft, sondern eigentlich erst recht unsterblich gemacht hat. 

Auch die seit jener furchtbaren „Kristallnacht“ des 10. November 1938 verödet daliegende Tempelruine hat über Einäscherung und Zerstörung hinweg ihre Macht als Wiederauferstehungssymbol erwiesen. Nur das Kellergewölbe ist stehengeblieben, durch einen wahren Wald von Bäumen und Sträuchern den Blicken von der Straße her entzogen. In der Tiefe des Fundaments ruhte der unversehrte Grundstein, der die Gründungsurkunde umschloß. Aus dem Zeitendunkel, das ihn verworfen hat, ist er heute wieder gehoben und unter dem Thora-Schrein des neuen Bethauses als Erinnerungsmal in den Beton der Aussenmauer eingefügt worden.

Mit der Beihilfe, welche das Land Oberösterreich für den Neubau gewährte, soll nach dem Wunsch des Herrn Landeshauptmannes Dr. Heinrich Gleißner nicht nur materielle, sondern vor allem geistige Wiedergutmachung geleistet und das Verständnis für das Gemeinsame und Verbindende der Glaubensbekenntnisse dokumentiert werden.

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„Sind wir nicht alle Kinder eines Vaters, hat uns nicht ein Gott alle erschaffen?“

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