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Öffnet mir die Tore

Als sich die führenden Männer der Israelitischen Kultusgemeinde Linz an mich wandten, ich möge ihnen bei der Errichtung und Ausgestaltung der neuen Synagoge beratend zur Seite stehen, stellte ich mir die Frage, ob es richtig sei, für den kleinen Rest der Überlebenden eine Synagoge zu erbauen. Ich fand die Antwort in der Heiligen Schrift:

„Und sie sollen Mir ein Heiligtum errichten, damit Ich unter ihnen wohne.“
(Exodus XXV, 8.)

Gott sagt nicht: „Damit Ich im Heiligtum wohne“, sondern „Damit Ich unter ihnen, unter dem Volke wohne.“ Wir bauen ein Heiligtum nicht als Wohnstätte Gottes, erfüllt doch Seine Herrlichkeit das ganze All, Seine heilige Gegenwart kann nicht auf einen Raum beschränkt werden. Wir bauen eine geweihte Stätte, um uns dort inne zu werden, dass Gott unter uns weilt, als sichtbares Zeichen der göttlichen Nähe, als eine Stätte der Sammlung und Einkehr, fernab vom Getriebe des Alltags. Wohl kommt Gott überall zu uns, wenn wir Ihn anrufen, aber wir kommen nicht überall zu Ihm. In den Sorgen des Alltags, in der zunehmenden Flut der äußeren Eindrücke, im Lärm des Verkehrs und der Massenmedien werden unser Herz und unsere Gedanken von Gott abgelenkt. Darum sucht unsere Seele nach einem Ort, wo sie sich geborgen fühlt und ungestört, in stiller Andacht Gott finden kann. Wir erbauen Ihm ein Haus, damit wir bei Ihm wohnen können. „Schön ist es zu wohnen im Schatten des Höchsten, unter den Fittichen des Allmächtigen sich zu bergen.“

In diesem Sinn ist der Gedanke zu begrüßen, dass die so klein gewordene Linzer Kultusgemeinde eine neue Synagoge gebaut hat. Nicht nur als Stätte des Gottesdienstes für die Betenden, sondern auch als Treffpunkt und Versammlungsort der Juden, wo sie sich ihres Judentums bewußt werden. Das neue Gotteshaus soll im wahrsten Sinne ein „Beit Haknesseth“, ein „Haus der Versammlung und der inneren Sammlung“ werden. Es wird seinem Zwecke gerecht werden, wenn wir es mit jüdischem Geist erfüllen, mit dem Geist der Thora, der Tradition, mit dem Geist Zions. Dann wird der Geist Gottes darin wohnen.

Das Ewige Licht, das in dieser Synagoge entzündet werden wird, soll ein Symbol des Glaubens an Gott, an die Unsterblichkeit Seiner Lehre und des jüdischen Geistes und an die Ewigkeit des jüdischen Volkes werden.

Dr. Akiba Eisenberg
Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien