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„Das Judentum ist eine vernünftige Religion“

Die Präsidentin der IKG Linz im Gespräch über Glaube, Tradition, Antisemitismus und Liederbücher.

LINZ. Charlotte Herman ist seit den 1990er-Jahren in der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) aktiv. Seit 2013 ist die Zahnärztin Präsidentin der IKG Linz.

Waren Ihre Eltern auch in der Gemeinde aktiv?
Meine Mutter war ab den 1980er-Jahren bis 2013 Vizepräsidentin. Sie war die gute Seele der Gemeinde und hat sich um alles gekümmert. Sie war die typische jüdische „Mame“, die jüdische Mutter. Mein Vater ist schon früh verstorben.

„Ich bin nicht sehr religiös“

Was für eine Rolle spielt der Glaube in Ihrem Leben?
Ich bin nicht sehr religiös. Das bedeutet, ich esse nicht koscher und benutze elektronische Geräte am Sabbat.

Sie stehen einer Glaubensgemeinschaft vor und sind nicht sehr religiös. Ist das nicht ein Widerspruch?
Für mich ist die jüdische Tradition sehr wichtig. Die hat auch mit dem Glauben zu tun, ist aber nicht unbedingt tief religiös. Unsere Mitglieder sind nicht alle sehr religiös. Es ist aber wichtig, die Tradition weiterzuleben, die sich in den religiösen Ritualen widerspiegelt, die Lieder und Kerzen zum Beispiel.

Seit 2013 leitet Charlotte Herman die Geschicke der Israelitischen Kultusgemeinde Linz. | Foto: BRS/Diabl
Seit 2013 leitet Charlotte Herman die Geschicke der Israelitischen Kultusgemeinde Linz.Foto: BRS/Diablhochgeladen von Christian Diabl

Was fasziniert Sie an der jüdischen Kultur?
Im Glauben finde ich sehr viel Logisches, was alltagstauglich ist. Viele Erklärungen haben Sinn, wenn man sich danach richtet. Wie in jeder Religion gibt es aber auch Sachen, wo man sich das Gegenteil denkt. Im Großen und Ganzen finde ich das Judentum eine vernünftige Religion. Rabbiner können zum Beispiel heiraten. Das ist sinnvoll, denn so können sie den Menschen als Seelsorger viel besser helfen.

Was sind die Unterschiede zwischen einem jüdischen und einem katholischen Gottesdienst?
Zuerst einmal die hebräische Sprache. Außerdem steht der Vorbeter mit dem Rücken zur Gemeinde. Es wird sehr musikalisch vorgetragen, vorausgesetzt, der Vorbeter kann es. Auch gibt es keine Predigten, manchmal zwar Erläuterungen, aber die sind eher kurz.

Kann man als Nicht-Jude an einem Gottesdienst teilnehmen?
Ja, es gibt in Linz etwa zehn Personen, die keine Juden sind, aber regelmäßig zum Gottesdienst am Freitag kommen. Das geht allerdings aus Sicherheitsgründen nur mit Voranmeldung im Sekretariat.

„Bischof Scheuer ist ein Freund des Judentums“

Gibt es einen interreligiösen Dialog?
Mit der Diözese haben wir einen sehr engen Kontakt. Bischof Manfred Scheuer ist sowieso ein Freund des Judentums. Wir sind auch in sehr gutem Kontakt mit der islamischen Glaubensgemeinschaft. Im Haus der Frau gibt es ein interreligiöses Frauentreffen, an dem ich teilnehme. Mit dem Vorsitzenden der Islamischen Religionsgemeinde in Oberösterreich, Murat Baser, verstehe ich mich sehr gut. Nach dem Anschlag in Halle hat er mich sofort angerufen. Es hat dann eine Solidaritätsbekundung gegeben. Da waren 25 Personen von der muslimischen Gemeinschaft in der Synagoge. Das ist sehr erfreulich und viele könnten sich daran ein Beispiel nehmen.

Was sind die Aufgaben der Präsidentin?
Es sind sehr viele administrative, organisatorische und repräsentative Aufgaben. Ganz wichtig ist auch die Aufklärungsarbeit über den jüdischen Glauben, bei Führungen zum Beispiel. Soweit es möglich ist, geht es auch darum, dem Antisemitismus entgegenzuwirken. Es ist wichtig, dass die Menschen die Möglichkeit haben, die jüdische Gemeinde kennenzulernen, Fragen zu stellen und mit Juden in Berührung zu kommen.

Charlotte Herman ist es ein Anliegen, die jüdische Tradition in Linz zu bewahren und weiter zu leben.  | Foto: BRS/Diabl
Charlotte Herman ist es ein Anliegen, die jüdische Tradition in Linz zu bewahren und weiter zu leben. Foto: BRS/Diablhochgeladen von Christian Diabl

Wie entwickelt sich die Linzer Gemeinde?
Wir haben insgesamt 50 Mitglieder in ganz Oberösterreich, davon circa zehn in Linz. Es gibt noch zehn bis 15 weitere Juden, die keine Mitglieder sind, aber ab und zu zu Festen kommen. Die Größe der Gemeinde ist erfreulicherweise ziemlich stabil. Todesfälle und Zuzug halten sich Gott sei Dank die Waage. Noch lieber wäre es mir aber, wenn sie wachsen würde.

„Es sind nur wenige Vertriebene zurückgekehrt“

Gibt es Mitglieder, deren Familien schon vor dem Zweiten Weltkrieg in Linz waren?
Nein, es sind nur wenige Vertriebene zurückgekehrt und hier gestorben. Ihre Kinder leben alle im Ausland. Wir haben kaum Kontakt zu ihnen. Manchmal jedoch kommen Verwandte auf Spurensuche nach Linz.

Es gibt also noch Aufzeichnungen aus der alten Zeit?
Ja, während der NS-Zeit ist nur die Synagoge zerstört worden, das Gemeindehaus nicht. Auch im Stadt- und im Landesarchiv ist einiges zu finden.

Woher kommen Ihre Mitglieder?
Die meisten unserer Mitglieder kommen aus dem Ausland, teilweise auch aus anderen Regionen in Österreich. Einige wenige kommen aus Israel, das hat meist berufliche Gründe. Es gibt auch eine Familie, die konvertiert ist.

Die Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Oberösterreich ist stabil. | Foto: BRS/Diabl
Die Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Oberösterreich ist stabil.Foto: BRS/Diablhochgeladen von Christian Diabl

Gibt es in Ihrer Gemeinde Juden, die als solche erkenntlich unterwegs sind?
Es gibt nur einen, der eine Kippa trägt und das auch nur zu Hause. Auf der Straße traut er sich das nicht. Die anderen sind nicht so religiös.

Sind Sie persönlich mit Antisemitismus konfrontiert?
Ich persönlich bis jetzt noch nicht. Es gibt aber schon Gemeindemitglieder, die damit konfrontiert worden sind. Vor allem aber auch mit sehr viel Israel-Kritik. Eine Israelin, die ein paar Jahre hier im künstlerischen Bereich tätig war, hat sich oft für Israel rechtfertigen müssen. Das hat sie als antisemitisch empfunden.

„Wir fühlen uns Israel sehr verbunden“

Werden auch Sie oft auf die Lage in Israel/Palästina angesprochen?
Sehr oft. Aber das ist okay so. Wir fühlen uns Israel sehr verbunden. Israel stärkt den Juden weltweit den Rücken. Das jüdische Leben in den anderen Ländern wäre sehr viel unsicherer, wenn Israel nicht existieren würde. Das Existenzrecht Israels ist für uns sehr wichtig und darf nicht zur Diskussion stehen.

Wie erklären Sie sich den immer noch grassierenden Antisemitismus?
Auf Minderheiten wird immer losgegangen. Man sucht einen Schuldigen für etwas, das einem nicht gelingt. Womöglich ist auch Neid dabei, weil erfolgreiche Leute Juden sind. Das hängt damit zusammen, dass viele sehr gebildet sind, weil sie ja aus religiösen Gründen die Thora lernen müssen. Man kann das aber natürlich nicht so generell sagen. Es gibt auch sehr dumme Juden und auch sehr arme. Aber in den Medien werden erfolgreiche Menschen, die Juden sind, als Juden präsentiert. Bei einem katholischen Bankpräsidenten schreibt man seine Religion nicht dazu. So wird das noch mehr in den Mittelpunkt gedrängt.

IKG Linz-Präsidentin Charlotte Herman vor dem Eingang der Linzer Synagoge. | Foto: BRS/Diabl
IKG Linz-Präsidentin Charlotte Herman vor dem Eingang der Linzer Synagoge.Foto: BRS/Diablhochgeladen von Christian Diabl

Das sind aber nicht die einzigen Gründe.
Wir haben den Antisemitismus von rechts, wo sich der Rassenwahn durch alle Bevölkerungsschichten zieht. Wir haben ihn von ganz links als Israel-Kritik. Und wir haben den Antisemitismus vom radikalen Islam, der sehr politisch ist, weil er mit Israel zusammenhängt.

„Ich finde das abscheulich“

Aktuell gibt es wieder eine Affäre um rassistische und antisemitische Liederbücher im FPÖ-Umfeld. Was sagen Sie dazu?
Ich finde das einfach abscheulich. Dass es da keine Konsequenzen gibt, finde ich äußert bedenklich. Es ist eine Schande, dass so jemand noch in der Politik sein darf (gemeint ist der steirische FPÖ-Politiker Wolfgang Zanger, Anm.). Das hätte aber schon zum Zeitpunkt des Fundes des Liederbuchs aufgedeckt werden sollen und nicht erst kurz vor der Wahl, denn Derartiges darf aus moralischen Gründen nicht nur als strategisches Mittel verwendet werden.

Quelle: https://www.meinbezirk.at/linz/c-lokales/das-judentum-ist-eine-vernuenftige-religion_a3748314

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